Welche Bedeutung hat die Kathedrale für Sie persönlich? Was bewegt Sie?
Die Hedwigskathedrale am Bebelplatz liegt ja gewissermaßen da wie ein offenes Buch. Mit historischen Referenzen bis zurück in die Antike. Der älteste Impuls, mit dem die Entwurfsgeschichte für St. Hedwig beginnt, kommt vom Pantheon in Rom, dem Tempel ‚für alle Götter‘. Friedrich II. hatte den prominent inmitten seines Forum Fridericianum platzierten Bau ursprünglich als Kirche ‚für alle Religionen‘ geplant. Und jetzt entsteht hier eine ‚für alle Menschen‘ offene christliche Kirche. Das ist so faszinierend an diesem Gebäude: Obwohl die historische Vorlage fast 2000 Jahre alt ist, ermöglicht sie die schlüssigste Umsetzung eines zukunftsfähigen Sakralraums.
Wie kamen Sie zu St. Hedwig? Wo waren Ihre vorherigen beruflichen Stationen?
Wenn ich ihre Frage wörtlich nehme, dann stieß ich auf Hedwig von Schlesien vor mehr als 30 Jahren. Auf einem Spaziergang durch Passau, im Kloster Niedernburg. Dort stand ich plötzlich vor einer gotischen Sandsteinfigur, die mich unmittelbar und heftig „ansprach“. Wann immer es mich später nach Passau verschlug, besuchte ich – Hedwig. Ich muss hinzufügen, dass ich dem katholischen Heiligenkult nie viel abgewinnen konnte. Christliche Spiritualität hat für mich andere Anziehungspunkte. Die Entdeckung der für mich noch immer eindrucksvollen Darstellung der Heiligen blieb eine Ausnahme.
Sie wollten aber vermutlich wissen, wie ich zur Entwurfsarbeit für die Neugestaltung der Hedwigskathedrale kam. Es war der Architekt Peter Sichau, der mich 2013 einlud, gemeinsam einen Wettbewerbsentwurf zu erarbeiten. Wir hatten uns einige Jahre davor in Frankfurt am Main, wo wir beide an der gotischen Stadtkirche St. Leonhard arbeiteten, kennengelernt.
Zur künstlerischen Gestaltung von Kirchen kam ich durch Pater Friedhelm Mennekes, dem meine Affinität zu sakralen Räumen bei der Installation meiner Ausstellung in St. Peter in Köln aufgefallen war. Das war 1988. Die Einladung zur Neukonzeption der Kirche Maria Geburt in Aschaffenburg, die 1999 eingeweiht wurde und die viel Echo ausgelöst hat, war auf seine Vermittlung hin erfolgt. Zum Berliner Wettbewerb brachte ich dann schon einige Erfahrung nach der Gestaltung von einem Dutzend Kirchen in Deutschland, Österreich und Belgien mit, von mittelalterlichen Pfarr- und Klosterkirchen bis zu modernen Sakralbauten.
Welche Hoffnung ist mit den Entwürfen zur Neugestaltung verbunden?
Sie kennen das Modell des Pantheons: spiegelt man die Kuppel nach unten, erhält man eine komplette Kugel, welche den Boden berührt. Diese Kugel ist nicht bloß eine geometrische Figur, sondern meint metaphorisch eine unendliche Kugel – die für Gott steht. Ich zitiere gerne einen Satz aus der mittelalterlichen Theologie: »Gott ist die unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist.« Der Rundbau der Hedwigskathedrale wird nach der Neugestaltung die erste Kathedrale weltweit sein, die dieses Modell raumtheologisch ernst nimmt und liturgisch konsequent nutzt. Zur Erinnerung: Die christliche Kirchbautradition bevorzugte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein ganz anderes Modell, nämlich einen längsachsialen, hierarchischen Bau. Der liturgische Raum wird dabei zweigeteilt: in den Raum für die Kleriker (Presbyterium, Altar-Insel) und – meist mehrere Stufen tieferliegend – die Versammlung der Laien. Diese Spaltung, die dem Bild eines Gott-Mensch-Dualismus folgt und der elementarsten spirituellen Grunderfahrung widerspricht, wird es in der neugestalteten Kathedrale nicht mehr geben. In St. Hedwig wird das stufenlose Zusammenfließen von Altar- und Gemeinderaum in einen Feierraum eine völlig neue Intensität des Miteinanderfeierns erlauben. Die neugestaltete Kathedrale setzt aber nicht nur einen wichtigen Impuls für die zukünftige Gestaltung liturgischer Räume, sondern sollte, gerade in Berlin, der Stadt des Mauerfalls und der Einung, über Kult und Religion hinaus zeichenhaft ins Politische und Gesamtkulturelle ausstrahlen.
Welche künstlerischen Modernisierungen gibt es? Wie versteht sich Kunst am Sakralbau?
Aus ein wenig Distanz betrachtet mutet Kirchen(kunst)geschichte tatsächlich wie ein permanentes Modernisierungsgeschehen an. Kunst, Architektur, übrigens auch die Theologie, wechselt von einem Modus in den nächsten. Dabei geht es immer, natürlich auch in unserem Fall der Hedwigskathedrale, um die Suche nach einer zeitgemäßen Sprache für eine inhaltlich unveränderliche Botschaft. Für Religionsgemeinschaften eine bisweilen kaum zu bewältigende Herausforderung. Der Streit zwischen traditionalistischen und fortschrittlichen Auffassungen geht oft am eigentlichen Thema, der Unterscheidung von veränderbarer Form und unveränderlichem Inhalt, vorbei. Verknöcherte Traditionalisten und übereifrige Fortschrittsapostel sind dann gleichermaßen Opfer ihres Unvermögens, sich auf den spirituellen Grund ihrer Suche wirklich einzulassen.
Wo liegen die Stärken der Entwürfe? Welche Fragen sind eventuell noch offen?
Ich muss nochmal auf die Besonderheit der Hedwigskathedrale, auf den Rundbau zu sprechen kommen. Er ermöglicht uns, den Altar tatsächlich in die Mitte zu stellen. Die Menschen versammeln sich in konzentrischen Kreisen um diesen ‚Tisch des Brotes‘. So wird die seit dem Konzil angestrebte Wandlung der katholischen Liturgie zu einer kommunikativen Feiergestalt überzeugend möglich. Das Bistum Berlin wird somit bald über den idealen liturgischen Raum und besten Katalysator für sein zentrales Leitmotiv ‚Communio‘ verfügen.
Der Begriff Communio sollte nicht umgangssprachlich auf Gemeinschaft, Teamarbeit, Versammlung etc. verkürzt gesehen werden. Er verweist auf eine ungleich größere, gar nicht definierbare spirituelle Weite: „Gott ist Communio“ war in einer aktuellen Publikation des Erzbistums zu lesen. Wenn wir den Begriff Communio in seiner ganzen Tragweite ernst nehmen, weist er auch über konfessionelle Grenzen hinaus. Daran knüpft sich die Hoffnung, dass sich die Hedwigskathedrale zusammen mit dem Lichtenberghaus als ein Ort ökumenischer Avantgarde erweisen wird.
Musste etwas aufgegeben werden oder weichen, um Innovation zu realisieren?
Ästhetische Innovation als Selbstzweck darf natürlich bei der Gestaltung einer Kirche nicht das Thema sein. Das wäre tatsächlich nichts weiter als Modernisierung. Tatsächlich ist in letzter Zeit der Einzug einer Art Boutiquenästhetik in Kirchen zu beobachten. Da wird dann mit der schicken Einfachheit zeitgenössischer Modelabels operiert. Man muss genau schauen und zwischen Minimalismus als Stil, als Attitüde – und formaler Reduktion als legitimer, ja gebotener ästhetischer Strategie unterscheiden. Die ist dann mit spiritueller Askese nicht nur verwandt, sondern entspringt der selben Haltung.
Was sind jetzt Ihre konkreten Aufgaben am Umbau?
Etliche Bauteile und Objekte sind schon in Arbeit. So wurden zum Beispiel in den letzten zwei Jahren Dutzende Glasmuster für die neuen Fenster gefertigt, bis wir mit dem Ergebnis schließlich zufrieden waren. Die Kirchenbestuhlung ist nach ausgiebiger Diskussion mehrerer Modelle bereits in Arbeit. Im Communio-Raum haben die Sitze der Gemeinde den Rang liturgischer Objekte. Das Geflecht von mehreren hundert Stühlen spielt eine wichtige liturgische Rolle, hat aber auch gleichzeitig als größte „Skulptur“ im Kirchenraum eine nicht zu unterschätzende raumästhetische Wirkung.
Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass an alle Gläubigen des Bistums die Einladung ergangen ist, „Steinspenden“ nach Berlin zu bringen oder zu schicken. Die im Rahmen der Fronleichnamsfeier 2022 gesammelten Steine bilden das Grundmaterial, aus dem nun Altar und Ambo gegossen werden. Schließlich sind neben den bereits laufenden Arbeiten noch letzte Details für die Unterkirche mit dem Bauherrn abzustimmen und planerisch zu finalisieren.
Was wurde schon geschafft? Was sind die nächsten Schritte?
Wer im letzten Jahr hin und wieder über den Bebelplatz ging, konnte beobachten, wie das Dach der Außenkuppel saniert und mit Kupferplatten neu eingedeckt wurde. Die Treppenanlage in der Mitte der Kathedrale wurde abgetragen und die Bodendecke geschlossen. Der komplette Kapellenkranz der Unterkirche wurde freigelegt, der Putz entfernt. Dabei ergab sich so mancher interessante Einblick in die Baugeschichte der Kathedrale. Als nächstes steht der Ausbau der Unterkirchenräume auf dem Programm. In der Krypta wird ein komplexes Raumgefüge, mit dem großzügigen Baptisterium in der Mitte und einer Vielzahl von Kapellen entstehen. Die Hauptkapellen sind der Heiligen Hedwig und dem Seligen Bernhard Lichtenberg geweiht. Die Neapolitanische Krippe erhält einen eigenen Raum. Es folgen die Bischofsgräber, die Beichträume und mehrere Kapellen, die im temporären Wechsel für historische und aktuelle religiöse, auch ökumenische und interreligiöse Themen zur Verfügung stehen.
Was unternehmen Sie als Erstes, wenn Hedwig fertig ist?
Wir arbeiten seit 2013 an dem Projekt und wohl noch bis Herbst 2024. Inzwischen ist mir die Hedwigskathedrale zu einer Art Lebensaufgabe geworden. Fast alle anderen Themen, die mir auch wichtig sind, landen seit Jahren in der Warteschleife. Insofern freue ich mich auf die Rückkehr in mein Atelier mit mehr Zeit für autonome künstlerische Arbeit und zu den aufgeschobenen Kunstprojekten im öffentlichen Raum.
Welche Art von Zusammenarbeit wünschen Sie sich von allen Mitwirkenden?
In einem so großen, auch über lange Zeit umstrittenen Projekt sind alle Beteiligten sehr gefordert. Natürlich ziehen da nicht von vornherein alle an einem Strang. Auch wäre es eigenartig bis verdächtig, wenn sich bei der Errichtung eines solchen ‚Glaubensmanifests‘ die gegenwärtige Krise der Kirche nicht ebenfalls bemerkbar machen würde. Insofern sind wir auch in den Planungs- und Arbeitsprozessen auf das Leitmotiv Communio angewiesen. Ohne Bekenntnis der Mitwirkenden zur Zusammenarbeit, zu kommunialem Handeln, kann ein derartiges Werk nicht gelingen. Entwurfsarbeit, Planungssitzungen, Konferenzen bis zu den konkreten künstlerischen und handwerklichen Realisierungen, all das gehört aus meiner Sicht schon zur „Liturgie“.
Wie würden Sie Kritiker/Skeptiker von Hedwig 21 überzeugen?
Die Kritik wird weitgehend verstummen, wenn die neugestaltete Kathedrale eröffnet und ihr Mehrwert gegenüber dem bisherigen Verschnitt aus Zentralraum und Wegekirche erlebt wird. Was die Berliner Kathedrale auszeichnet ist ja nicht so sehr ihre kunstgeschichtliche Bedeutung, sondern liegt in ihrem liturgischen Potential. Und das muss konkret erlebt werden. An Hand von Plänen und Modellen ist das den wenigsten Menschen möglich. Ich habe schon erwähnt, dass ich an der Gestaltung von über einem Dutzend Kirchen beteiligt war. Da gab es am Beginn oft kritische, bisweilen auch aggressive Reaktionen. Oft dauerte es nicht lange und eine magische Vokabel hatte Hochkonjunktur: „Dieses Projekt spaltet die Gemeinde.“ Dabei werden in Umbauprozessen bloß Gräben sichtbar, die schon lange bestehen; auch theologische und spirituelle Defizite. Wir erleben das gegenwärtig sehr deutlich: auch der aktuelle synodale Weg ist ein ‚Umbauprozess‘ par excellence …
Wo sehen Sie die Kathedrale in ihrem künstlerischen Wert in 10 Jahren?
Die epochale Bedeutung der neugestalteten Kathedrale liegt in der raum-liturgischen Qualität, in ihrer außergewöhnlichen theologisch-spirituellen Erzählung. In zehn Jahren wurde das liturgische Konzept der neugestalteten Berliner Kathedrale vielleicht schon mehrmals kopiert. Vielleicht braucht die umfassende Rezeption des Communio-Raumes aber auch noch etwas mehr Zeit.
Petra Lulei, Leo Zogmayer
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